Neues aus der Neibolt-Street

Und schon wieder eine Woche nichts geschrieben. Ich hoffe, ich bekomme es bald besser auf die Reihe. Aber an manchen Abenden bin ich so fertig, dass ich mir einfach nur die Decke über den Kopf ziehe und meinem eigenen Atem zuhöre. Das hat was Beruhigendes, auch wenn das vermutlich nur nachvollziehen kann, wer ähnlich schräg drauf ist wie ich. Aber wenn ich schon mal wieder schreibe, dann möchte ich auch ein kleines bisschen Bilanz ziehen.

Vier Wochen gehe ich nun auf die neue Schule und seit sechs Wochen sind wir umgezogen. Meine alte Heimat fehlt mir sehr. Als ich noch dort wohnte, habe ich sie nie als schön empfunden. Sie war einfach da und alles schien so selbstverständlich. Die Tiere. Das Land. Und natürlich das Meer. Ja, manchmal war es total langweilig und ich hab mir gewünscht, dass Aliens auf den Marschen landen. Und mich besuchen und mir erklären, dass ich zu ihnen gehöre. Das würde erklären, warum ich mit den Menschen so wenig anfangen kann.
Ich vermisse die salzige Luft, den Wind und muss stattdessen diesen Gestank hier atmen. Hm, und noch verblüffender - es gibt sogar Menschen, die ich vermisse. Tatsächlich so manche Person aus meiner alten Klasse, obwohl ich auch da die Außenseiterin war. Aber irgendwie war das dort trotzdem locker.
Ich schreibe noch mit einigen Leuten und erwische mich dabei, wie sehr ich mich freue, wenn sie mir schreiben. Ich! Mich freuen. Wenn mir jemand schreibt. Ich werde immer bescheuerter.
Und meinen Vater vermisse ich auch. Ganz egal, was die beiden Clowns, mit denen ich leben muss, erzählen. Er hat seine Fehler. Keine Frage. Eine Menge sogar. Aber er ist kein Heuchler. Wenn er mit mir nichts anfangen kann, sagt er es offen.
Ob er mich manchmal vermisst? Er im Norden, ich hier unten? Ich hoffe es. Wäre schön, aber soll ich ehrlich sein? Ich würde nicht drauf wetten. Irgendwie ist er kastriert, was Beziehungen angeht. Aber trotzdem ist er auf seine Weise okay!

Und im Südwesten nichts Neues. Nachts ist es unglaublich warm. Wie im Hochsommer. Und die Luft wird immer schlechter. Hier gibts höchstens mal einen Wald. Das nennt sich dann Natur.
In der Schule läuft es wie ich erwartet habe. Ich bin nicht außen, ich bin ganz weit draußen. Aber das ist okay. Nach vier Wochen sind meine Mitschüler und ich zum Ergebnis gekommen, dass wir uns nicht viel zu sagen haben. Ich werde geschnitten, aber eigentlich in Ruhe gelassen. Das ist okay für mich.
Ich sitze mittlerweile alleine und habe dadurch weniger Stress und meine Ruhe.
Die Jungs sind merkwürdig, aber eher brav. Ich tippe, sie kommen aus "guten" Familien. Bei den Mädchen sind ein paar böse Schlangen dabei. Nach vorne grinsen und "Süüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüsse!!!!" und "hdggggggdl" und "bbf!!!!", nach hinten wird gelästert, was die Münder hergeben. Naja, nicht mein Problem.

Und sonst? Im Unterricht komme ich gut mit. Nichts zu sehen vom angeblich so anspruchsvolleren Unterricht im Süden. Vermutlich gelogen wie das meiste in den Medien.
Im Moment kämpfe ich mit mir, ob ich in die Chemie-AG rein soll. Zeitlich wäre es machbar. Liegt sogar genial für mich. Aber da sind fast nur Leute aus der Oberstufe drin. Und meine Klasse beginnt ja erst dieses Schuljahr mit Chemie. Da bekomme ich nur nonstop blöde Sprüche. Schade eigentlich, denn da Chemie schon lange mein Hobby ist, könnte ich wohl mithalten. Zumal ich dort richtige Versuche machen könnte.
Geschenkt. Das Leben ist kein Ponyhof, nicht wahr?

Huch, sagte ich Pony? Das Ding...ja wie komme ich jetzt nur auf sie, also bei dem Schlagwort ^^.
Das Ding fühlt sich ja so wohl hier im Südwesten. Und sie hat ja schon so viel neue Freundinnen gefunden. Und in der Schule kommt sie bei so viel nicht mit - alles wie immer sozusagen.
Und was macht die merkwürdige Person, die behauptet, meine Mutter zu sein? Sie erzählt mir, ich sollte gefälligst der Kleinen helfen, da ich doch gut in der Schule sei.
Ich? Helfen? DER? Warum? Warum bei einer Person, die mir doch vor allem jeden Tag nur auf die Nerven geht? Zumal es sowieso Zeitverschwendung ist. So wie ich niemals aussehen werde wie sie, wird sie niemals gute Noten schreiben. Weil das Beste an ihr eben außen, und nicht innen ist.

Genug für heute. Und hoffentlich schreibe ich wieder häufiger. War noch was?

Achja, doch eines: Chapeau, Patrick Modiano, auch wenn ich Ihre Werke nicht kenne ;).

Und schon wieder eine Woche nichts geschrieben. Aber dieses Mal bin ich entschuldigt. Ich lag krank darnider. Nein. Stimmt so auch nicht. Aber ich hatte gleich drei Tage lang richtig fett Kopfschmerzen. Und an den Tagen, an denen ich keine hatte, war keine Zeit. Und jetzt ist wieder Freitag. Aber kein normaler. Denn die zwei Geiseln der Menschheit waren bis vorhin ihr.
Die merkwürdigen Leute. Die Eltern der merkwürdigen Frau, die sich meine Mutter nennt. Sie haben ihre gemeine Drohung wahr gemacht und heute unsere Wohnung begutachtet.

Selbst für unsere Verhältnisse nennt sich das Wahnsinn. Wie das abläuft? Na...so:
Es klingelt an der Tür. Meine Mutter öffnet huldvoll...grinst dann falsch und begrüßt ihr Eltern. Besonders ihre Mutter, die sie eigentlich nicht ausstehen kann. Hier sind wir ausnahmsweise mal einer Meinung. Dann kommt das Ding angerannt, ruft "Oma, Opa!"...vergisst das "ich brauch Kohle" auch noch zu rufen, und die beiden schmelzen dahin. So ein süßer Engel. Wo doch die Erstgeborene so eine Niete ist. Dann beim Essen.

Oma: Warum muss das Kind immer so schauen, als wäre ihm ein Unglück widerfahren (sie meint mich)?

Opa: (zu mir) Wenn du nicht anfängst, mehr zu lächeln, bekommst du nie einen Freund...haha (trinkt sein drittes Glas Wein)

Das Ding: Die hat immer schlechte Laune...

So geht es hin und her. Anscheinend erwarten sie, dass ich was sage. Natürlich erwarten sie das. Und genau deswegen schweige ich. Esse. Schweige. Trinke. Schaue Oma aufreizend an, die sofort den Blick abwendet. Schaue den Alten an, der schon einen roten Kopf vom Wein hat. Und weiß, dass die beiden nur Witzfiguren sind. Und dass ich gewonnen habe. Und schweige weiter. Bis...das kommt...

Mutter: Nun lasst sie aber bitte mal in Ruhe! Sie ist wie sie ist! Und sie hat eine Menge gute Seiten...

(...) (...) ... :o

Und ich würde gern schreiben, dass ich auch das weg gesteckt habe. Dass ich auch dabei cool geblieben bin. Aber das einzig Coole an mir war, dass ich nicht aufgestanden und in mein Zimmer gerannt bin. Das hat weh getan. Dass ausgerechnet sie sich nun als meine Retterin aufspielen kann. Und ich nichts offen dagegen sagen kann, weil ich dann einmal mehr die pubertäre Scheißkröte bin, die undankbare. Sie weiß das. Ich weiß das. Und der IQ der restlichen drei Personen am Tisch dürfte selbst addiert noch deutlich unter hundert liegen.
Kein Thema. Sie hat gewonnen. In jenem Moment.

Und was gabs sonst? Nicht viel. Zwei Mal mündlich abgehört worden. Zwei Mal leichte Fragen gehabt und müde gelächelt. Und böse Blicke gespürt. Und noch mehr gelächelt. Und mittlerweile darf ich endlich ganz hinten und alleine sitzen. Was für eine Befreiung!
Übernächste Woche kommen die ersten Klausuren. Ich bin gespannt.

Und jetzt bin ich müde. Und gehe pennen. Gute Nacht und bis bald, liebes Tagebuch ;)

Joa...dazu muss ich sagen, dass ich da so ein nettes Lexikon der untergegangenen Worte habe. Darin lese ich sehr gerne. Und wenn das Ding mich mal zu sehr nervt, also praktisch immer, werfe ich irgendwelche Beleidigungen aus dem 18. Jahrhundert an den Kopf.
Die versteht sie natürlich nicht, zumal sie ja vieles nicht versteht. Ihr überforderter Blick ist dann aber immer Gold wert ^^.
Manchmal genügen mir aber alte Worte nicht. Dann mache ich mir einfach eigene, also Neue.
Eines davon ist von gestern Abend.

"orkanieren"....was so viel heißt, dass es zwischen mir und meiner sogenannten Frau Mutter richtig gekracht hat. Wie ein Orkan kam sie über mich. Es bzw sie hat also orkaniert :D.

Da stand sie in meinem Zimmer, meckerte in einer Tour wegen dem Schwarzfahren, während ich alles dafür geben musste, meinen Lachflash nicht nach außen dringen zu lassen. Meine Mundwinkel müssen böse gezuckt haben, denn irgendwie wurde sie noch wütender. Für einen Moment dachte ich, dass eine fette Ohrfeige folgt, aber das hat sie sich dann doch vernkiffen. Stattdessen hat sie weiter gestresst, also sozusagen orkaniert ^^.

Und die Moral von der Geschichte?

"Die vierzig Euro zieh´ich dir vom Taschengeld ab! Warum musst du dich immer so idiotisch benehmen!"

Geschenkt. Ich gebe ja kaum was aus. Da juckt mich diese Strafe wenig. Und was "idiotisch" angeht...seltsam, da denke ich immer eher an das Ding. Aber ihr Liebling macht ja grundsätzlich alles richtig.
Am späten Abend kam sie dann tatsächlich nochmals in mein Zimmer, um mit mir in Ruhe zu sprechen. Zum Glück lag ich bereits im Bett und habe mich schlafend gestellt. Da stand sie also anscheinend zwei Minuten unentschlossen in meinem Zimmer. Da ich ja nicht schauen konnte, weiß ich nicht, was sie gesucht hat.
Aber es war echt eine Erleichterung, als sie wieder draußen war und mich nicht "geweckt" hat.

Richtig weh getan hat sie mir nur heute morgen. Damit.

"Am kommenden Freitag, am Feiertag, kommen Oma und Opa zu Besuch. Unsere neue Wohnung anschauen..."

Und DAS ist dann wirklich eine schlimme Drohung. Lieber würde ich einen Tag mit Pennywise verbringen als mit den beiden. Meine Oma mit ihren aufgesetzten Blicken und ihrem vorwurfsvollen Augenaufschlag.
"Ich verstehe die Kleine nicht...sie kommt so nach dem Erzeuger..." KotziKotz hoch zehn!
Und mein Opa wird wieder einen Schnaps nach dem anderen saufen bis sein Kopf so rot wird, dass wir ihn als Signallampe verkaufen könnten.
Das Ding brach natürlich sofort in Jubel aus. Und ich hatte die Wahl: Auf den Tisch kotzen oder sie bitten, die beiden wieder aus zu laden und dafür drei Monate mein Taschengeld einzubehalten. Das wär´s mir wert gewesen. Aber sowas von!
Aber ich bin feige. Ich habe Möglichkeit drei gewählt.

Raus aus dem Zimmer und schnell die Treppe runter.